Atomenergie
Freitag, 30 Juni 2023 18:26

Atomkraft oui, Windkraft non

 

Von Friederike Hofmann, ARD Paris

In Frankreich kommt bislang nur ein Fünftel der Energieproduktion aus Erneuerbaren. Nun sollen auf See große Windparks gebaut werden. Doch während die Menschen die Atomkraft unterstützen, gibt es gegen Windenergie Widerstand.

Ein Seilzug hebt große grüne Plastikkisten voller Jakobsmuscheln aus dem Bauch des Schiffes im Hafen von Le Tréport in der Normandie. Fast die ganze Nacht war Fischer Ludovic mit seinem Schleppnetz auf dem Ärmelkanal unterwegs. Mit dem heutigen Fang ist er nicht zufrieden, die Jakobsmuschelsaison geht dem Ende zu. "Die Ausbeute könnte besser sein", sagt er etwas einsilbig.

Der Fang heute ist aber nicht seine größte Sorge. Die Fischer von Le Tréport haben Angst um ihre Zukunft. "Vielleicht müssen wir die Fischerei aufgeben", sagt Ludovic.  

Ludovics Schiff hat vor dem Gebäude der Fischereikooperative von Le Tréport festgemacht. Auf einem großen Schild an der Wand steht: "Nein zur Windkraft-Diktatur." Was die Fischer aufreibt: 15 Kilometer vor der Küste von Le Tréport soll ein Windpark entstehen.  

Kampf gegen die Windmühlen

Olivier Becquet gestikuliert am Hafenkai wild am Telefon. Er ist der Chef der Fischereikooperative. Ruhe kennt der Mitt-Sechzigjährige nicht. Becquet ist das Sprachrohr der Fischer. Seit 15 Jahren hat er sich dem Kampf gegen die Windmühlen verschrieben.

"Für uns ist es einfach schrecklich, was hier passieren wird", sagt er. "Die Politik begreift einfach nicht, was es bedeutet, Dinge im Meer zu bauen. Die denken, man kann einfach alles machen, ohne dass sie sehen, wie viel Reichtum sich unter der Wasseroberfläche befindet und wie wichtig die Fischerei wirtschaftlich ist."

In Le Tréport denken viele der 5000 Einwohner so wie er. Überall in dem idyllischen kleinen Städtchen mit den enggedrängten, dunklen Backsteinhäusern vor den hohen Kreidefelsen sind Plakate gegen die Windräder aufgehängt.  

Sorge um Fischerei und Tourismus

Man sei in der Region ja an Windkraft gewöhnt, sagt Restaurantbesitzerin Charlotte. Überall um Le Tréport drehen sich Windräder auf den Feldern. Auf dem Meer sei das aber etwas anderes: "Wir denken auch an den Tourismus hier. Wir leben zu 80 Prozent von Fischerei und Tourismus. Das würde dann ja auch alle Geschäfte hier betreffen."

Charlotte hat Sorge, dass keine Touristen mehr kommen, wenn sich durch die Windräder der weite Blick aufs türkisfarbene Meer verändert. Mit den bunten Fischerbooten, die durch die pittoreske Hafeneinfahrt ein und ausfahren, ist die Aussicht das Markenzeichen von Le Tréport. 

Weniger als 20 Prozent aus erneuerbaren Energien

Beim Ausbau der Windenergie legt Frankreich nun einen Zahn zu. 19,3 Prozent der Energieproduktion in Frankreich kommt bisher aus erneuerbaren Energien. Frankreich bleibt damit hinter den Zielen der Europäischen Union zurück.

Präsident Emmanuel Macron hat daher die Devise ausgegeben, in den kommenden Jahren 50 Offshore-Windparks an Frankreichs Küsten fertigzustellen. Der bei Le Tréport ist einer davon.  

Bauen in der fischreichen Zone

Der Chef der Fischereikooperative, Olivier Becquet, fährt mit einem kleinen Boot aufs Meer hinaus, nah heran an die Stelle, wo der Windpark gebaut werden soll. 62 Windräder werden sich hier bald drehen, so die Planung, und Strom für 850.000 Menschen erzeugen.

Für Becquet ist das der völlig falsche Ort: "Das Wasser ist relativ flach, dadurch kommt mehr Licht hinein, das Wasser ist weniger kalt, dadurch gibt es viel Nahrung. Es ist die perfekte Mischung, so dass dies der fischreichste Ort des ganzen Ärmelkanals ist." 

Umweltorganisationen kritisieren den Standort

Schon vor mehr als zehn Jahren hat die französische Regierung diesem Gebiet im Ärmelkanal den Zuschlag gegeben. Durch den stabilen Untergrund und die geringe Wassertiefe kann man hier besonders gut bauen.

Umweltverbände kritisieren, dass der Ort zu nah an der Küste gewählt wurde. Es habe außerdem zu wenig Austausch mit den lokalen Akteuren gegeben. Auch Becquet fühlt sich vom französischen Staat übergangenen. Die Vorschläge der Fischer für einen alternativen Ort seien nicht berücksichtigt worden.

Becquet und seine Kollegen befürchten, dass die Fische langfristig aus diesem Teil des Meeres verschwinden. Auch wenn der Windradbetreiber das Gegenteil behauptet. Aussagekräftige Studien dazu gibt es bisher wenige. Die Fronten sind verhärtet. 

Zwei neue Reaktoren

Becquets fährt mit seinem Boot in Richtung Hafen zurück, vorbei am Atomkraftwerk Penly in Sichtweite des zukünftigen Windparks. "Das ist doch alles verrückt. Dabei haben wir hier doch ein Atomkraftwerk, das jeden Tag genau das produziert, was an Strom gebraucht wird", sagt er. In Penly sollen zusätzlich zu den zwei bestehenden zwei neue Reaktoren gebaut werden.  

Bei Le Tréport liegen mit Atom- und Windkraft zwei Pfeiler der zukünftigen französischen Energiepolitik nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Mindestens sechs neue Reaktoren sollen im ganzen Land gebaut werden. Zwei Drittel der Franzosen finden das Umfragen zufolge gut.  

Wenig Widerstand gegen die Atomkraft

So groß der Widerstand gegen den Offshore-Windpark ist: Gegen den Ausbau des Atomkraftwerks gibt es wenig Widerstand. Momentan sind die beiden bestehenden Reaktoren von Penly außer Betrieb: wegen Korrosion, einem großen Riss und Wartungsarbeiten. Sorgen machen sich hier nur wenige.

Laut dem Bürgermeister von Le Tréport, Laurent Jacques, gibt es großes Vertrauen. Man sei die Atomkraft und das damit einhergehende Risiko hier ja gewöhnt. "Ich kenne hier quasi keine Menschen, die sagen, ich bin gegen Atomkraft. Und ich selbst bin davon überzeugt, dass der Ausbau ein gutes Projekt für die Region ist", sagt er. Schon jetzt profitieren viele in der Region wirtschaftlich vom Atomkraftwerk.

Vom Neubau der Reaktoren erhofft sich der Bürgermeister weitere Arbeitsplätze: "Da werden tausende Menschen arbeiten. Die können natürlich nicht alle von hier kommen. Die müssen ja erst mal ausgebildet werden. Aber die Idee ist, dass 50 Prozent aus der Region stammen."

Mit dem Offshore-Windpark sei das anders: "Die wirtschaftlichen Konsequenzen für eine Kommune wie unsere sind katastrophal. Es geht um Hunderte von Arbeitsplätzen. Wir bekommen null Gegenleistung." Auch eine ursprünglich in Le Tréport geplante Wartungsstation werde jetzt im Nachbarort gebaut. 

Kampf geht weiter

Nächstes Jahr sollen die Bauarbeiten für den Offshore-Windpark beginnen. Olivier Becquet von der Fischereikooperative will sich nicht damit zufrieden geben, dass die Fischer das Gebiet, wenn die Bauphase beginnt, nicht mehr anfahren dürfen - trotz Ausgleichszahlungen: "Die Leute hier wollen ja arbeiten, am Ende des Monats einen Lohn haben, die Familien ernähren. Wir wollen nicht arbeitslos werden."

Er hat mit anderen Fischern zusammen eine Petition beim Europäischen Parlament eingereicht. Einfach aufzugeben ist für ihn keine Option. 

DW-Autorin Jeannette Cwienk

Ich erinnere mich noch genau daran, wie viel Spaß wir hatten, an diesem Frühlingsnachmittag im April. Ich baute mit meinen Freundinnen und Freunden im Wald eine Hütte, bis uns Regenschauer nach Hause trieben. Es war der April 1986 - kurz nachdem im ukrainischen Prypjat Reaktorblock 4 des sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl explodiert war. Da die Nachricht über die Katastrophe erst Tage später an die Öffentlichkeit drang, hatten wir noch nichtsahnend im Wald gespielt.

Die Katastrophe von Tschernobyl und die Sorge vor einer verstrahlten Zukunft prägten meine Jugend. Aber nicht nur deswegen erscheint mir der Vorschlag der EU-Kommission, nicht nur Gas, sondern auch Atomkraft als klimafreundliche Technologie in ihre Taxonomie aufzunehmen, also als nachhaltige und förderwürdige Wirtschaftsaktivität zu klassifizieren und für Investitionen zu empfehlen, wie ein Hohn.

Wer zahlt für einen Atomunfall?

Das ist der Kommissions-Vorschlag auch deswegen, weil er die wahren Kosten der Atomkraft völlig ignoriert: zum einen mit Blick auf die hohen Kosten für neue Atomanlagen, so klein künftige Reaktoren auch sein mögen. Zum anderen aber vor allem in Bezug auf die völlig außer Acht gelassene Frage: Wer haftet eigentlich bei einem Nuklearunfall?

Allein in Deutschland belaufen sich die staatlichen Ausgaben für die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe bis heute auf rund eine Milliarde Euro. Die unmittelbaren wirtschaftlichen Schäden durch den Atomunfall von Tschernobyl werden auf mehr als 200 Milliarden Euro geschätzt - Folgeschäden wie Erkrankungen sind dabei nicht eingerechnet. Diese fehlen auch in der Summe von rund 177 Milliarden Euro, auf die sich die Kosten für den Atomunfall vom 11. März 2011 im japanischen Fukushima allein bis zum Jahr 2017 beliefen - laut damaliger Schätzung der japanischen Regierung.

Getragen werden diese Kosten zum Großteil von den Steuerzahlern Japans, denn die Betreibergesellschaft Tepco wurde ein Jahr nach der Katastrophe de facto verstaatlicht, um eine Insolvenz zu verhindern.

Staatshaftung im Katastrophenfall

Und hier sind wir beim Kern des Problems: Die Haftungssummen für nukleare Unfälle sind in Europa lächerlich gering. So müssen etwa die Kraftwerksbetreiber in Tschechien gerade einmal 74 Millionen Euro für einen atomaren Unfall bereithalten, in Ungarn sind es 127 Millionen.

Auch Frankreich, maßgeblicher Antreiber für eine geplante "Begrünung" der Atomkraft in der EU und mit 70 Prozent Nuklearstromanteil weltweit am stärksten abhängig von seinen Reaktoren, verlangt seinen Stromversorgern bei einem Nuklearunfall höchstens 700 Millionen Euro Haftungssumme ab. Ein großer atomarer Unfall in Europa könnte aber locker Kosten zwischen 100 bis 430 Milliarden Euro verursachen. Sollte der tatsächlich passieren, müssten abermals die betroffenen Staaten und damit deren Steuerzahler einspringen.

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Wegen dieser faktischen Staatshaftung kritisierte kürzlich selbst der Chef der deutschen Liberalen und Bundesfinanzminister Christian Lindner die Aufnahme der Atomkraft in die EU-Taxonomie. "Eine Energiequelle, die nur etabliert werden kann, wenn der Staat in die Haftung geht, die zeigt schon marktwirtschaftlich an, dass es sich nicht um eine nachhaltig verantwortbare Energiequelle handeln kann", so Lindner. 

Und so wird die deutsche Bundesregierung an diesem Freitag also vermutlich gegen die Pläne der EU-Kommission stimmen - zurecht. Mutiger sind dagegen Österreich und Luxemburg, die eine Klage gegen ein Nachhaltigkeitssiegel für Atomkraft angekündigt haben.

Die Risiken von "Mini-Reaktoren"

In Frankreich dagegen bezeichnet Staatspräsident Emmanuel Macron die Atomkraft gerne als "Glücksfall" für den Klimaschutz. Dass derzeit zehn Reaktoren im Land abgeschaltet bleiben müssen, drei der neuesten Generation davon aus Sicherheitsmängeln, stört das Glücksempfinden des Präsidenten offenbar wenig. Sorgen vor einem Atom-GAU und dessen Folgen will Macron mit neuen Mini-Reaktoren, sogenannten "Small Modular Reactors" (SMR), zerstreuen. Sie sollen erheblich kleiner sein als bisherige Atomreaktoren - und dementsprechend weniger gefährlich, käme es zu einem Unfall.

Doch diese Rechnung enthält einen Mengenfehler. Denn um auf die Kapazität eines großen Meilers zu kommen, ist eine enorme Zahl an kleinen Reaktoren nötig. "Diese hohe Anzahl wird das Risiko für nukleare Unfälle um ein Vielfaches erhöhen", mahnte etwa das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.

Geht es wirklich um Klimaschutz?

Ebenfalls scharf ins Gericht geht die Behörde mit dem Bericht des Joint Research Center der EU. Auf dessen Grundlage traf die Kommission in Brüssel ihre Bewertung über die Klimafreundlichkeit ziviler Atomkraft.

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Der JRC-Bericht betrachte die Risiken der Kernenergienutzung für Mensch und Umwelt sowie für nachfolgende Generationen nur unvollständig. Er sei, so das Fazit, daher kein Beitrag, mit dem die Nachhaltigkeit der Kernenergienutzung umfassend bewertet werden könne.

Das lässt Zweifel aufkommen, dass Brüssel die Atomkraft vor allem aus Klimaschutzgründen in die neue EU-Taxonomie aufnehmen will. Vielmehr scheint politischer Druck dahinterzustehen, vor allem aus Frankreich. Dass man hier als Nuklearmacht auf jeden Fall an der Atomkraft festhalten will, hatte Emmanuel Macron zuletzt ganz offen erklärt. "Ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft und ohne militärische Atomkraft keine zivile", sagte der Staatspräsident erst im Dezember.

dpa

Die EU-Kommission will Investitionen in Gas und Atomkraft als umweltfreundlich kennzeichnen. Immer mehr EU-Abgeordnete kritisieren die Entscheidung – und drohen mit Ablehnung.

Im Europäischen Parlament wächst der Widerstand gegen die geplante EU-Einstufung von Gas und Atomkraft als klimafreundlich. In einem Brief an die EU-Kommission, der in den nächsten Tagen verschickt werden soll, fordern knapp 70 Abgeordnete aus vier verschiedenen Fraktionen eine öffentliche Befragung von Bürgern und Organisationen zu dem umstrittenen Entwurf.

 

„Es ist essenziell, dass diese Entscheidung nicht nur in Expertenkreisen ohne öffentliche Aufsicht debattiert wird“, heißt es in dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorab vorlag. Zudem will die SPD-Gruppe nach Angaben des Abgeordneten Joachim Schuster geschlossen gegen den Vorschlag stimmen, wenn es keine Änderungen gibt.

Mit der sogenannten Taxonomie will die Kommission festlegen, welche Geldanlagen als klimafreundlich gelten sollen, um die Klimawende voranzubringen. Die Kommission hat am 31. Dezember in einem Entwurf für einen sogenannten delegierten Rechtsakt vorgeschlagen, dass Investitionen in neue Atomkraftwerke als grün klassifiziert werden können, wenn sie neuesten Standards entsprechen und ein konkreter Plan für die Lagerung radioaktiver Abfälle bis 2050 vorliegt. Auch Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen unter bestimmten Auflagen übergangsweise als grün eingestuft werden können.

Michael Bloss (Grüne) und Abgeordnete der Sozialdemokraten (S&D), Liberalen (Renew) und Linken kritisieren in ihrem Brief, dass EU-Staaten und ausgewählte Klimaexperten nur sehr wenig Zeit bekommen hätten, um auf den Entwurf zu reagieren.

Darüber haben sich auch die Vorsitzenden der Ausschüsse für Wirtschaft und Umwelt in einem Brief Anfang der Woche beschwert. EU-Leitlinien sehen normalerweise eine vierwöchige öffentliche Befragung zu solchen Rechtsakten vor.

EU-Kommission hat Frist bis Freitag vorgegeben

Die EU-Kommission hat eine Frist bis Freitag angesetzt. Danach will sie den offiziellen Rechtsakt vorlegen. Dieser kann dann noch vom EU-Parlament oder mindestens 20 EU-Ländern abgelehnt werden – es ist aber unklar, ob die nötigen Mehrheiten dafür noch gefunden werden könnten.

Die Abgeordneten schreiben, dass viele Investoren Kritik an den Plänen geübt hätten. Die Taxonomie werde für eine Vielzahl von Fonds und öffentlichen Finanzierungsprogrammen richtungsweisend sein. „Nach dem Ende der fossilen Brennstoffe müssen die Menschen sicher sein können, dass Geld in Zukunft sinnvoll und grün angelegt wird“, heißt es in dem Schreiben. Auch Umweltschützer haben die Pläne immer wieder scharf kritisiert – angesichts der ungelösten Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle sowie der CO2-Emissionen bei Gas.

Von Niklas Záboji, Paris

2012 sollte der AKW-Neubau in der Normandie ursprünglich abgeschlossen werden. Jetzt verzögert sich die Fertigstellung abermals – bis ins Jahr 2023. Die Kosten steigen ebenfalls.

Frankreichs erster Druckwasserreaktor der neuen Generation (European Pressurized Reactor, EPR) wird noch teurer und später fertig als bislang geplant. Das gab der staatliche Energiekonzern EDF am Mittwoch bekannt. Statt Ende dieses Jahres soll Flamanville 3 nun im Laufe des zweiten Quartals 2023 in Betrieb genommen werden können. Die von EDF kommunizierten Kosten steigen von 12,4 auf 12,7 Milliarden Euro. Der Konzern verweist darauf, dass man die Inbetriebnahme dem „durch die Pandemie erschwerten industriellen Kontext anpassen“ müsse.

Der Bau von Flamanville 3 in der Normandie läuft seit dem Jahr 2007. Der Reaktor mit einer Leistung von 1650 Megawatt sollte ursprünglich im Jahr 2012 ans Netz gehen und 3,4 Milliarden Euro kosten. Doch immer wieder kam es zu Verzögerungen. Auch jetzt stehen noch wichtige Arbeiten an. Unter anderem muss die Modernisierung von Schweißnähten am Sekundärkreis abgeschlossen werden. Nicht nur dort gab es in der Vergangenheit Baumängel – und auch deshalb schätzt der französische Rechnungshof die Gesamtkosten des Projekts mittlerweile auf mehr als 19 Milliarden Euro.

EDF betont, dass die „komplexeste“ Bauphase, Schweißarbeiten an der Reaktorhülle, abgeschlossen und von der Atomaufsicht als konform eingestuft wurden. Gelassen zeigt sich der Konzern auch mit Blick auf die kürzlich bekannt gewordenen Probleme mit den Brennelementen des typgleichen Druckwasserreaktors in Taishan in China. Den dort festgestellten mechanischen Verschleiß bestimmter Komponenten der Baugruppe gebe es auch bei anderen Rektortypen in Frankreich. „Dieses Phänomen stellt das EPR-Modell nicht in Frage“, schreibt EDF. Zudem würden die dort gesammelten Erfahrungswerte in Flamanville berücksichtigt.

In Taishan stehen bislang die beiden einzigen Reaktoren dieses Typs. Auf europäischem Boden wurde der EPR in Olkiluoto in Finnland im Dezember fertig, zwölf Jahre später als geplant. Ans Netz gehen soll er in den nächsten Tagen. Zudem wird ein EPR-Reaktor in Hinkley Point in Großbritannien gebaut. Stand jetzt soll er im Jahr 2026 ans Netz gehen können.

 

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung kritisiert die Pläne, Atomkraft als nachhaltige Energieform einzustufen. Die EU-Entscheidung sei nicht nachvollziehbar. Wichtige Punkte seien unberücksichtigt geblieben.

Die EU will Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig einstufen, der dort produzierte Strom soll damit als klimafreundlich gelten. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) warnt davor, diese Pläne umzusetzen.

Die EU-Kommission verstelle den Blick darauf, dass Atomenergie nicht nachhaltig sei, heißt es in der Analyse, die der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. Zentrale Kriterien, wie etwa die Gefahr von nuklearen Unfällen oder die Schwierigkeiten bei der Entsorgung von Atomabfällen, würden in der EU-Abwägung viel zu wenig beachtet.

Einstufung sei aus fachlicher Sicht nicht haltbar

Den EU-Plänen zufolge sollen Investitionen in neue Atomkraftwerke als nachhaltig klassifiziert werden, falls sie neuesten Standards entsprechen und ein konkreter Plan für den Umgang mit dem radioaktiven Müll vorliegt. Der Chef des BASE, Wolfram König, bezeichnet Atomenergie als Hochrisikotechnologie, die auch die "Gefahr des Missbrauchs von radioaktivem Material für terroristische und kriegerische Zwecke" berge. Aus fachlicher Sicht sei die Einordnung von Atomkraft als nachhaltig nicht haltbar.

 
Kommenden Generationen bürden wir damit erhebliche Lasten auf, die auch mit dem Anspruch der Generationengerechtigkeit nicht in Einklang zu bringen sind.

In vielen europäischen Ländern sei die Haftung der Kraftwerksbetreiber stark limitiert. Für schwere Unfälle mit erheblichem Austritt von Radioaktivität würden die Haftungssummen nicht ausreichen, so das Bundesamt. Auch greife das Argument, Atomkraftwerke würden kaum klimaschädliche Gase ausstoßen, zu kurz. Es werde in der Klimabilanz lediglich der Betrieb der Kraftwerke betrachtet, nicht aber etwa Rückbau oder Urangewinnung, die durchaus zum Ausstoß von Treibhausgasen führten.

Pläne auch in anderen EU-Staaten umstritten

Die Einstufung ist auch in anderen EU-Staaten umstritten. Trotzdem gilt als wahrscheinlich, dass der Vorschlag der EU-Kommission angenommen wird - denn zu wenige Mitgliedsstaaten haben sich bisher gegen die Einstufung von Atomkraft als nachhaltig ausgesprochen. Deutschland selbst ist bei der Frage gespalten, da neben Atomkraftwerken auch Gaskraftwerke als nachhaltig eingestuft werden sollen.

Von Nils Kögler

Die EU plant die Atomkraft zur "grünen Energie" zu erklären. Speziell Frankreich setzt im Kampf gegen den Klimawandel auf die CO2-arme nukleare Energie. Experten sind skeptisch.

"Ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, ist bei dieser Hochrisikotechnologie falsch" – so reagierte Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck von den Grünen auf den Vorstoß der EU-Kommission, Gas- und Atomkraft künftig unter bestimmten Bedingungen als "grüne Energien" einzustufen.

Deutschland verfolgt seit Jahren eine gegensätzliche Politik und hat den Ausstieg aus der Atomkraft fast abgeschlossen. Zu Jahresbeginn gingen drei der bislang sechs verbleibenden Kernkraftwerke vom Netz. Die drei letzten Meiler sollen spätestens Ende dieses Jahres folgen. 

Doch die meisten Nachbarländer verfolgen eine andere Strategie. Speziell Frankreich setzt voll auf nukleare Energie. Um die Klimaziele zu erreichen, will das Land weiter in die relativ CO2-arme Form der Stromgewinnung investieren. Der Vorstoß der Kommission ein solches Vorgehen unter Umständen zu fördern, hat auch in Deutschland wieder Befürworter der Atomenergie auf den Plan gerufen.

Kritiker klagen über den riskanten "deutschen Sonderweg" des zeitgleichen Ausstiegs aus Kohle- und Atomstrom. Die Tatsache, dass Deutschland 2021 laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes Milliarden Kilowattstunden Strom aus Frankreich importieren musste, befeuert die kritischen Stimmen. Ihre Meinung zum Thema können Sie uns so mitteilen. Doch Experten warnen, dass sich am Ende Frankreich auf einem teuren Irrweg wiederfinden könnte.

Kurswechsel durch Macron

56 Atomreaktoren an 18 Standorten sind in Frankreich zurzeit aktiv. Mehr Meiler gibt es nur in den USA. 70 Prozent des Stromverbrauchs und 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs deckt das Land mit seinen Atomkraftwerken ab. Doch viele der Meiler sind alt und werden zunehmend anfällig für Probleme. Erst 2020 ging mit dem Kernkraftwerk Fessenheim an der deutschen Grenze das bis dahin älteste Kraftwerk des Landes nach langem politischen Hin und Her vom Netz.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte nach seiner Wahl 2017 zunächst auch auf einen Atomausstieg und wollte Deutschland auf seinem Kurs Richtung erneuerbarer Energien folgen. Er plante den Atomstromanteil auf 50 Prozent zurückfahren und schon bis 2025 viele Atomkraftwerke stillzulegen. Doch eine anhaltende Energiepreiskrise bewegte den Präsidenten zum Umdenken.

Nun setzt er weiter auf Atomstrom und will rund eine Milliarde Euro in neue Reaktoren investieren. Dabei sollen auch neue Technologien, wie "Small Modular Reactors" (SMR) – oder zu deutsch: Modulare Minireaktoren – zum Einsatz kommen. Sie sollen günstiger und schneller zu bauen sein und zudem mehr Sicherheit gewährleisten als konventionelle Kraftwerke

Kritik des Rechnungshofes

Die Bevölkerung in Frankreich scheint mehrheitlich hinter Macrons neuem Atomkurs zu stehen. 52 Prozent sprachen sich in einer Umfrage für die Nutzung von Atomenergie ergänzend zu den Erneuerbaren aus. Zehn Prozent befürworteten gar eine ausschließliche Nutzung der Atomkraft, während 37 Prozent einen Atomausstieg wollten.

Der französische Stromnetzbetreiber RTE behauptete zudem, dass die Stromversorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien das Land im Jahr 2050 ein Drittel mehr Geld kosten würde, als der Mix aus je 50 Prozent Atomkraft und Erneuerbaren. Die RTE begründete dies mit dem notwendigen Netzausbau.

Doch es gibt auch Kritik an den Plänen der Regierung. Insbesondere der französische Rechnungshof zweifelt an der finanziellen Nachhaltigkeit. Laut seinen Berechnungen würde der französische Betreiber der Kernkraftwerke, die Firma EDF, bis 2030 circa 100 Milliarden Euro investieren müssen, um die Lebenszeit der bestehende Meiler um lediglich zehn Jahre zu verlängern. Das entspräche dem dreifachen des Börsenwerts des Unternehmens. Pro Reaktor würden also Kosten von rund 1,7 Milliarden Euro anfallen – umgerechnet rund 55 Dollar pro Megawattstunde (MWh) erzeugtem Strom.

Der Neubau eines konventionellen Atomkraftwerks würde gar 130 bis 200 Euro pro MWh kosten, kritisiert Ben Wealer, Energiewirtschaftsexperte an der Technischen Universität Berlin, gegenüber dem "Handelsblatt". Der Neubau Photovoltaik (PV) würde laut Wealer aktuell zwischen 29 bis 42 Euro pro MWh kosten und von Windkraft zwischen 26 bis 54 Euro pro MWh. 

"Nie eine wettbewerbsfähige Energiequelle"

Für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat Wealer die Wirtschaftlichkeit der Atomkraft untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass keines der zwischen 1951 und 2017 gebauten 674 AKWs "unter wettbewerblichen Bedingungen" entstand. Die kommerzielle Nutzung von Kernenergie sei Nebenprodukt militärischer Entwicklungen und schaffe "nie den Sprung zu einer wettbewerbsfähigen Energiequelle".

Hinzu kommt die lange Bauzeit der Meiler. Die Wissenschaftsvereinigung Scientists for Future (S4F), die zu Nachhaltigkeitsthemen forscht, beziffert die Bauzeit eines konventionellen Atomkraftwerks auf 15 Jahre. 

Auch der französische Rechnungshof befürchtet, dass die neuen Kraftwerke nicht termingerecht und zu vernünftigen Kosten gebaut werden könnten. So wird beispielsweise der Reaktor in Flamanville frühestens 2023 mit einer Verspätung von elf Jahren ans Netz gehen. Die Kosten haben sich demnach von 3,3 auf 19 Milliarden Euro vervielfacht. 

Auch Minireaktoren zu teuer

Doch was ist mit den neuartigen Minireaktoren? Die Experten von S4F halten die Technologie für noch nicht ausgereift. Nach ihren Angaben benötigten die SMRs noch Jahrzehnte bis zu einer kommerziellen Nutzung. Für das Erreichen der Klimaziele könnten sie deshalb genauso wenig einen Beitrag leisten wie die bauaufwendigen herkömmlichen Atomreaktoren. 

Zudem sieht ein vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) in Auftrag gegebenes Gutachten die Minireaktoren trotz des geringeren Baupreises "gegenüber anderen Energietechnologien wirtschaftlich weit unterlegen". Die Kosten für einen Minireaktor liegen laut Schätzungen bei mindestens einer Milliarde Euro. Ihre Leistung von 300 Megawatt ist dabei nicht mit denen von konventionellen Atomkraftwerken (1.000 bis 1.600 Megawatt) vergleichbar.

Es müssten also unzählige der Minireaktoren gebaut werden, um die konventionellen Kraftwerke zu ersetzen. Macrons Investitionsvorhaben wirkt angesichts dieser Zahlen nahezu mickrig. Es bräuchte also private Investoren, doch für die seien die Minireaktoren uninteressant, so Wealer. 

Der Plan Macrons, weiter auf Atomkraft als Eckpfeiler der französischen Energiegewinnung zu setzen, könnte sich somit als milliardenschwerer Irrweg entpuppen. Nicht zuletzt deshalb ist der französische Präsident eine der treibenden Kräfte hinter dem Plan der EU-Kommission, die Kernenergie als nachhaltig einzustufen. Nur so könnten doch noch ausreichend private Investoren angelockt werden, um seine Pläne zu verwirklichen.

Für die Kritiker der Atomenergie klingt das wie ein Albtraum. "Es besteht die reale Gefahr, dass sich der Markt entsprechend ausrichtet", sagt Wolfram König, Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, dem "Handelsblatt". "Damit würden benötigte Innovationen und Investitionen in erneuerbare Energien möglicherweise nicht in gleichem Maße erfolgen."

Verwendete Quellen:

Kommentar

Von Daniela Weingärtner

Der irrwitzige Plan der EU-Kommission zum Wohle der Kernkraft und des Erdgases zeigt auch: In Brüssel weiß man längst, dass die ehrgeizigen Fristen aus dem Green Deal nicht zu schaffen sind.

In vielen europäischen Haushalten wurden an Silvester kurz vor Mitternacht die Korken in der Sektflasche gelockert. Aus der EU-Kommission wurde zur selben Zeit ein Schreiben an die Mitgliedsstaaten verschickt, das einen lauteren Knall erzeugte als jede Flaschengärung. Atomkraft und Erdgas dürfen demnächst als "nachhaltige Übergangstechnologien" etikettiert und in Finanzprodukten entsprechend beworben werden.

Es geht nicht um die Option, diese Energiequellen direkt zu subventionieren. Doch Nachhaltigkeitslabel werden immer beliebter, auch bei der Geldanlage. Deshalb wurde die Entscheidung aus Brüssel mit Spannung erwartet, und der Veröffentlichungszeitpunkt stellt einen recht plumpen Versuch dar, den Aufreger im Aufmerksamkeitsloch um die Jahreswende verschwinden zu lassen.

Eine Mehrheit im Europaparlament oder eine Gruppe von mindestens 20 Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, könnten das Projekt noch stoppen. Doch damit rechnet niemand.

Denn mit ihrer Entscheidung sorgt die EU-Kommission dafür, dass die beiden einflussreichsten Mitgliedsländer Frankreich und Deutschland energiepolitisch zufriedengestellt werden und sich gegenseitig gewähren lassen. Zwar erklärte der neue grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck immerhin, dass Atomkraft nicht nachhaltig sei. Doch auch er hat sich inzwischen genügend Überblick verschafft, um zu sehen, dass Deutschland noch viele Jahre auf Gasenergie und Atomimporte angewiesen sein wird, wenn Industrie und privaten Haushalten nicht der Saft ausgehen soll.

Große Aufregung bei Umweltverbänden


Die EU-Kommission hat am Montag erläutert, dass es nur um Investitionen in Übergangslösungen, um die Nachrüstung der Sicherheitstechnik und Endlagerprojekte geht. Dennoch ist die Aufregung bei Umweltverbänden und ökologisch denkenden Zeitgenossen groß – zu Recht.

Denn es liegt nun ein Plan auf dem Tisch, der Milliarden in Atommeiler der 3. Generation "und höher" spült und damit Fakten schafft, die sich nicht in der von Brüssel anvisierten Zeitspanne bis 2045 wieder aus der Welt schaffen lassen. Von der Möglichkeit, längst schrottreife Akw aufzurüsten und bis 2040 weiter zu betreiben, ganz zu schweigen.

Müll strahlt mehrere Millionen Jahre


Genau deshalb müssten die französischen Nuklearpläne auch grundsätzlich anders beurteilt werden als das deutsche Festhalten an Gasimporten. Erdgas kann schrittweise durch CO2-ärmere Varianten ersetzt, das ganze Netz mittelfristig für den Transport von grünem Wasserstoff umgewidmet werden. Atommeiler liefern zwar schon heute klimaneutralen Strom, doch der dabei entstehende Müll strahlt mehrere Millionen Jahre. Der Rückbau der abgeschalteten Akw-Ruinen würde zudem viele weitere Generationen belasten.

In der Verordnung, die Parlament und Mitgliedsstaaten auf Vorschlag der EU-Kommission beschlossen haben, steht klipp und klar: Technologien, deren "langfristige Abfallbeseitigung eine erhebliche und langfristige Beeinträchtigung der Umwelt verursachen kann", dürfen nicht als nachhaltig kategorisiert werden, auch nicht übergangsweise. Es fallen einem wenige Beispiele ein, die besser in diese Kategorie passen als Atommüll.

Führt man sich die lächerlich kurzen Fristen vor Augen, in denen neue Meiler gebaut und wenig später wieder abgeschaltet werden sollen, lässt das nur einen logischen Schluss zu: In Brüssel weiß man schon, dass die ehrgeizigen Fristen aus dem Green Deal nicht zu schaffen sind. Deshalb richtet man den Blick auf CO2-arme Übergangsenergieträger, die aber deutlich länger ihren Dienst tun werden als bis 2050.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen muss ja auch nicht fürchten, an ihren ehrgeizigen grünen Visionen gemessen zu werden. Bis der Schwindel auffliegt, ist sie längst nicht mehr im Amt.

Dienstag, 04 Januar 2022 11:13

Empörung über Atompläne

Von dpa

EU-Kommission will die Kernkraft als grüne Energiequelle einstufen / Kritik aus Berlin und Wien.

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen hat mit Plänen zur indirekten Förderung moderner Atom- und Gaskraftwerke für Entsetzen bei Umweltschützern und Kernkraftgegnern gesorgt. Organisationen wie Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe warfen der Behörde am Wochenende vor, ein vollkommen falsches Signal zu setzen und ihre eigenen Klimaziele zu untergraben.

In Deutschland gab es angesichts des beschlossenen Atomausstiegs und der Abschaltung von drei Kernkraftwerken am Silvesterabend (Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen) vor allem wegen der Kommissionspläne für ein grünes Label für bestimmte Investitionen in neue Akw und Laufzeitverlängerung Aufregung. Die "Hochrisikotechnologie" Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, sei falsch, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Der Atommüll werde die EU über Jahrhunderte belasten. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte: "Atomkraft ist zu riskant, zu teuer und zu langsam, um der Welt beim Klimaschutz zu helfen." Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) nannte den Vorstoß der EU-Kommission energie- und klimapolitisch einen absoluten Irrweg.

Konkret sehen die Pläne der EU-Kommission vor, dass in Ländern wie Frankreich, Polen und den Niederlanden geplante Investitionen in neue Akw als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.

Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands ebenfalls als nachhaltig eingestuft werden können. Dabei würde zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden und ob sich die Anlagen spätestens 2035 auch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen können. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte, Deutschland benötige moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, "weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten".

Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission im Rahmen der sogenannten Taxonomie soll Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen. Dies soll wesentlich dazu beitragen, dass die EU von 2050 an klimaneutral wirtschaftet.

Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis zum 12. Januar Zeit, den Entwurf zu kommentieren. Seine Umsetzung kann nur verhindert werden, wenn sich mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament.

Eine solche Mehrheit zusammenzubekommen gilt als unwahrscheinlich, da sich neben Deutschland lediglich Länder wie Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen eine Aufnahme der Atomkraft aussprechen – und auch eine ausreichende Mehrheit gegen die geplanten Gasregeln nicht in Sicht ist. In Italien dringt die Regierungspartei Lega nun gar auf ein neues Referendum zu einem Wiedereinstieg in die Kernkraft. Österreich droht mit einem Gang vor den Europäischen Gerichtshof.

Von Andreas Wilkens

Auch für den dritten und letzten Block des bayerischen AKW liegt nun eine Rückbaugenehmigung vor.

Betreiber RWE hat den Plan für den Rückbau für Block C seines Atomkraftwerks in Gundremmingen genehmigt bekommen. Das Bundesumweltministerium hat dem Bescheid des bayerischen Umweltministeriums zugestimmt. Die Genehmigung soll am morgigen 28. Mai offiziell bekannt gemacht und anschließend für die Öffentlichkeit zur Einsicht ausgelegt werden.

In den vergangenen vier Jahren wurden in Bayern bereits die Stilllegung und der Abbau der AKW Isar 1 und Grafenrheinfeld genehmigt. Auch für Block B in Gundremmingen lag bereits eine Genehmigung vor, er wurde bereits Ende 2017 abgeschaltet, Block C soll bis spätestens Ende dieses Jahres folgen. Block A wurde bis zu einem Störfall 1977 betrieben, er wird seit 1983 rückgebaut.

 

Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) betonte, nun sei ein weiterer bedeutender Schritt im Ausstieg aus der Atomkraft vollzogen. "Ich stehe hinter dem Ausstieg aus Kohle und Kernenergie. An den gesetzlichen Abschaltzeitpunkten wird nicht gerüttelt." Der Standort in Gundremmingen soll wieder eine frei nutzbare Fläche werden. Er soll unter den gleichen strengen Sicherheitsvorgaben rückgebaut werden, wie er betrieben worden sei.

RWE hatte auf Grundlage des Atomgesetzes am 31. Juli 2019 die Genehmigung für den Abbau des Blocks C beantragt. Der Abbau ist gemäß dem Verursacherprinzip Aufgabe der Betreiber und muss behördlich beaufsichtigt werden. Der Rückbau der Systeme und Komponenten eines Atomkraftwerks erstreckt sich über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren. Anschließend werden die verbliebenen Gebäudestrukturen dekontaminiert, freigemessen und einer anderweitigen Nutzung zugeführt oder abgerissen. Der Rückbau kostet etwa eine Milliarde Euro und wird vom Betreiber bezahlt.

Der Rückbau eines AKW dauert so lange, weil es eine sehr komplexe Anlage mit vielen Komponenten und Systemen ist. Alle Systeme und Komponenten werden nach einem genauen Plan der Reihe nach abgebaut und zerlegt, denn einige von ihnen werden länger benötigt als andere. Zudem müssen die Komponenten auf Radioaktivität untersucht und möglicherweise gereinigt werden. Diese Teile können dann nach einer staatlich kontrollierten Freimessung in den regulären Wertstoffkreislauf gegeben werden. Die Teile, die nicht gereinigt werden können, sowie die abgereinigte Radioaktivität werden für das Endlager Schacht Konrad bearbeitet und verpackt.

 

Zwei Wochen lang haben Experten Brennelemente ausgetauscht und die Sicherheitssysteme gecheckt

Nach einem umfangreichen Check geht das grenznahe schweizerische Atomkraftwerk Beznau am Mittwoch (26.05.2021) wieder vollständig zurück ans Netz. Zwei Wochen lang haben Spezialisten zuvor einen Teil der Brennelemente ausgetauscht und anschließend alle Systeme überprüft.

Zwanzig der insgesamt 121 Brennelemente im Reaktorkern mussten während der Wartungsarbeiten erneuert werden. Nach Pfingsten konnten die Betreiber den Reaktor dann wieder schrittweise hochfahren.

Spätestens am Donnerstag soll das Kraftwerk dann nach Angaben des Energiekonzerns Axpo wieder seine volle Auslastung erreichen. Während des Übergangs können immer wieder mal Wasserdampfwolken über dem Gelände aufsteigen, diese seien aber normal und stellen keine Gefahr für Mensch und Umwelt dar, heißt es.

Erstes AKW der Schweiz und ältester noch aktiver Druckwasserreaktor der Welt

Das Kernkraftwerk Beznau ist mit seinen 52 Jahren der älteste Druckwasserreaktor weltweit, der noch bis heute in Betrieb ist. Der Druckwasserreaktor aus Block 1 hat eine Nettoleistung von rund 365 Megawatt und erzeugt damit im Jahr etwa 3.000 Gigawattstunden Strom. Das entspricht in etwa dem Bedarf von bis zu 600.000 Haushalten. Der Reaktorblock 2 versorgt noch einmal so viele Menschen mit Elektrizität.

Bei Atomkraftgegnern war der Meiler in Beznau zuletzt immer wieder wegen mutmaßlicher Probleme mit der Notstromversorgung und möglicher Altersermüdungserscheinungen in die Kritik geraten. Das Kraftwerk steht auf der anderen Seite des Rheins nur wenige Kilometer Luftlinie vom südbadischen Kreis Waldshut entfernt.

(fw)