
Von Friederike Hofmann, ARD Paris
In Frankreich kommt bislang nur ein Fünftel der Energieproduktion aus Erneuerbaren. Nun sollen auf See große Windparks gebaut werden. Doch während die Menschen die Atomkraft unterstützen, gibt es gegen Windenergie Widerstand.
Ein Seilzug hebt große grüne Plastikkisten voller Jakobsmuscheln aus dem Bauch des Schiffes im Hafen von Le Tréport in der Normandie. Fast die ganze Nacht war Fischer Ludovic mit seinem Schleppnetz auf dem Ärmelkanal unterwegs. Mit dem heutigen Fang ist er nicht zufrieden, die Jakobsmuschelsaison geht dem Ende zu. "Die Ausbeute könnte besser sein", sagt er etwas einsilbig.
Der Fang heute ist aber nicht seine größte Sorge. Die Fischer von Le Tréport haben Angst um ihre Zukunft. "Vielleicht müssen wir die Fischerei aufgeben", sagt Ludovic.
Ludovics Schiff hat vor dem Gebäude der Fischereikooperative von Le Tréport festgemacht. Auf einem großen Schild an der Wand steht: "Nein zur Windkraft-Diktatur." Was die Fischer aufreibt: 15 Kilometer vor der Küste von Le Tréport soll ein Windpark entstehen.
Kampf gegen die Windmühlen
Olivier Becquet gestikuliert am Hafenkai wild am Telefon. Er ist der Chef der Fischereikooperative. Ruhe kennt der Mitt-Sechzigjährige nicht. Becquet ist das Sprachrohr der Fischer. Seit 15 Jahren hat er sich dem Kampf gegen die Windmühlen verschrieben.
"Für uns ist es einfach schrecklich, was hier passieren wird", sagt er. "Die Politik begreift einfach nicht, was es bedeutet, Dinge im Meer zu bauen. Die denken, man kann einfach alles machen, ohne dass sie sehen, wie viel Reichtum sich unter der Wasseroberfläche befindet und wie wichtig die Fischerei wirtschaftlich ist."
In Le Tréport denken viele der 5000 Einwohner so wie er. Überall in dem idyllischen kleinen Städtchen mit den enggedrängten, dunklen Backsteinhäusern vor den hohen Kreidefelsen sind Plakate gegen die Windräder aufgehängt.
Sorge um Fischerei und Tourismus
Man sei in der Region ja an Windkraft gewöhnt, sagt Restaurantbesitzerin Charlotte. Überall um Le Tréport drehen sich Windräder auf den Feldern. Auf dem Meer sei das aber etwas anderes: "Wir denken auch an den Tourismus hier. Wir leben zu 80 Prozent von Fischerei und Tourismus. Das würde dann ja auch alle Geschäfte hier betreffen."
Charlotte hat Sorge, dass keine Touristen mehr kommen, wenn sich durch die Windräder der weite Blick aufs türkisfarbene Meer verändert. Mit den bunten Fischerbooten, die durch die pittoreske Hafeneinfahrt ein und ausfahren, ist die Aussicht das Markenzeichen von Le Tréport.
Weniger als 20 Prozent aus erneuerbaren Energien
Beim Ausbau der Windenergie legt Frankreich nun einen Zahn zu. 19,3 Prozent der Energieproduktion in Frankreich kommt bisher aus erneuerbaren Energien. Frankreich bleibt damit hinter den Zielen der Europäischen Union zurück.
Präsident Emmanuel Macron hat daher die Devise ausgegeben, in den kommenden Jahren 50 Offshore-Windparks an Frankreichs Küsten fertigzustellen. Der bei Le Tréport ist einer davon.
Becquets fährt mit seinem Boot in Richtung Hafen zurück, vorbei am Atomkraftwerk Penly in Sichtweite des zukünftigen Windparks. "Das ist doch alles verrückt. Dabei haben wir hier doch ein Atomkraftwerk, das jeden Tag genau das produziert, was an Strom gebraucht wird", sagt er. In Penly sollen zusätzlich zu den zwei bestehenden zwei neue Reaktoren gebaut werden.
Bei Le Tréport liegen mit Atom- und Windkraft zwei Pfeiler der zukünftigen französischen Energiepolitik nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Mindestens sechs neue Reaktoren sollen im ganzen Land gebaut werden. Zwei Drittel der Franzosen finden das Umfragen zufolge gut.
Wenig Widerstand gegen die Atomkraft
So groß der Widerstand gegen den Offshore-Windpark ist: Gegen den Ausbau des Atomkraftwerks gibt es wenig Widerstand. Momentan sind die beiden bestehenden Reaktoren von Penly außer Betrieb: wegen Korrosion, einem großen Riss und Wartungsarbeiten. Sorgen machen sich hier nur wenige.
Laut dem Bürgermeister von Le Tréport, Laurent Jacques, gibt es großes Vertrauen. Man sei die Atomkraft und das damit einhergehende Risiko hier ja gewöhnt. "Ich kenne hier quasi keine Menschen, die sagen, ich bin gegen Atomkraft. Und ich selbst bin davon überzeugt, dass der Ausbau ein gutes Projekt für die Region ist", sagt er. Schon jetzt profitieren viele in der Region wirtschaftlich vom Atomkraftwerk.
Vom Neubau der Reaktoren erhofft sich der Bürgermeister weitere Arbeitsplätze: "Da werden tausende Menschen arbeiten. Die können natürlich nicht alle von hier kommen. Die müssen ja erst mal ausgebildet werden. Aber die Idee ist, dass 50 Prozent aus der Region stammen."
Mit dem Offshore-Windpark sei das anders: "Die wirtschaftlichen Konsequenzen für eine Kommune wie unsere sind katastrophal. Es geht um Hunderte von Arbeitsplätzen. Wir bekommen null Gegenleistung." Auch eine ursprünglich in Le Tréport geplante Wartungsstation werde jetzt im Nachbarort gebaut.
Kampf geht weiter
Nächstes Jahr sollen die Bauarbeiten für den Offshore-Windpark beginnen. Olivier Becquet von der Fischereikooperative will sich nicht damit zufrieden geben, dass die Fischer das Gebiet, wenn die Bauphase beginnt, nicht mehr anfahren dürfen - trotz Ausgleichszahlungen: "Die Leute hier wollen ja arbeiten, am Ende des Monats einen Lohn haben, die Familien ernähren. Wir wollen nicht arbeitslos werden."
Er hat mit anderen Fischern zusammen eine Petition beim Europäischen Parlament eingereicht. Einfach aufzugeben ist für ihn keine Option.